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Decentralized Finance - ein Protokoll-basiertes Finanzsystem

Generell kann in der Blockchain-Industrie jedes Jahr in einen oder mehrere Trends zusammengefasst werden. Im Jahr 2009 war es Bitcoin, 2011 Mt. Gox, 2015 Ethereum, 2017 Initial Coin Offerings und 2019 eindeutig Decentralized Finance (DeFI). In „The decade in Blockchain – 2010 to 2020 in review“ werden zudem wesentliche Meilensteine und Events über das letzte Jahrzehnt zusammengefasst. Persönlich bin ich schon lange davon überzeugt, dass es sich bei Blockchain-Technologie um einen Inside-Out Markt handelt. D.h. wesentliche Innovationen, wirklicher Nutzen und die Adaption der Technologie erfolgt zuerst im Finanzsektor. Zudem entstehen disruptive Innovationen erst an den Grenzfeldern, die das herkömmliche Denken und Handeln in Frage stellen. Der Schauplatz hierfür sind Startups, die auf öffentlicher Blockchain-Infrastruktur aufsetzen und krypto-ökomische Protokolle etablieren. Hier werden diese neuen Anwendungsfälle „in der freien Wildnis“ von einer Gruppe an Early Adopters getestet und weiterentwickelt. Über die Zeit werden diese Mechanismen robuster, beweisen sich und verschmelzen mit oder ersetzen traditionelle Infrastruktur.



DeFi bezieht sich auf digitale Vermögensgegenstände und finanzielle Smart Contracts, Protokolle und dezentrale Applikationen (dApps), die primär auf der Ethereum Blockchain entwickelt werden. Einfacher gesagt handelt es sich um Finanz-Software, die auf Basis von Blockchain-Technologie gebaut wird und wie Lego-Steine als einzelne Komponenten kombiniert werden kann. Computer, Software und das Internet haben sämtliche Industrien disruptiert. Dabei baut jede Innovation auf dem Grundgerüst der vorigen auf und digitale Produkte und Services werden zunehmend hochentwickelter. „Software is eating money“ subsumiert das DeFi Phänomen ganz gut. Damit eröffnet sich auch ein neuer Design Space für die Finanzindustrie, innerhalb dessen DeFi Protokolle zu „money legos“ werden, die kombinatorische Innovation und einen präzedenzlosen Automatisierungsgrad erlauben.


Ein anderes Wort für DeFi ist Open Finance. Dabei wird auf einen Paradigmenwechsel referenziert, weg von den heutigen, geschlossenen Finanzsystemen und hin zu einer offenen, Protokoll-basierten Finanzwirtschaft, die interoperabel, programmierbar und zusammensetzbar ist. Dabei geht es nicht unbedingt darum ein komplett neues System zu erschaffen, sondern das bestehende zu demokratisieren und gerechter zu machen, mithilfe von offenen Protokollen und einer transparenten Datenbasis. Kain Warwick von Synthetix beschreibt eine generelle Definition wie folgt: „DeFi is the replication of existing financial services by creating trustless protocols with predefined rules that allow open participation, where consumers of these services pay fees which are automatically distributed to protocol participants.”


Ein grundlegender Wandel hierbei ist die Veränderung von Unternehmen und Plattformen hin zu Protokollen. Die sogenannte Protokoll-Ökonomie verspricht die ökonomische und digitale Infrastruktur des Internets selbst in vielerlei Hinsicht zu optimieren. Im größeren Kontext schließt dies u.a. die Konsolidierung der datengetriebenen Plattform-Monopolisten mit ein. Die Basis-Infrastruktur des Internets basiert auf offenen Protokollen und Standards, die jeder nutzen kann, um kompatible Schnittstellen dagegen zu entwickeln. Email nutzt SMTP und das World Wide Web selbst ist mit dem Hyper Text Transfer Protocol ein Protokoll. Über die letzten zehn Jahre ist das Internet jedoch unter der Kontrolle von privat geführten Unternehmen erwachsen geworden, die ihre Marktmacht und Netzwerkeffekte immer stärker ausspielen.


Der Artikel „Protocols, not platforms: a technological approach to free speech” von Mike Masnick gibt eine detaillierte Argumentation, warum wir unsere digitale Infrastruktur in Zukunft lieber auf Protokollen anstatt Unternehmensplattformen bauen sollten. Diese geben uns eine bessere Basis, um individuelle Freiheiten zu gewährleisten, unsere Daten und Privatsphäre besser zu schützen, als auch mehr Innovationen und neue Geschäftsmodelle hervorzubringen.


In „The invisible protocol thesis: tomorrow’s crypto unicorns“ argumentiert Jamie Burke von Outlier Ventures, dass die Nachfrage nach den ersten wesentlichen Blockchain-Protokollen durch die Adaption von 3rd Party Entwicklern stattfinden wird, die auf deren Basis Endnutzer-Anwendungen entwickeln. Dabei unterscheidet er die zwei Kategorien „dezentrale Infrastruktur-as-a-Service“ und „dezentrale Plattform-as-Service“.

In Bezug auf DeFi ist wichtig zu verstehen, dass es vor allem die Kombination aus verschiedenen Protokollen sein wird, die den größten Mehrwert und Nutzen schafft. Während einzelne dApps besonders hervorstechen werden, können diese nur innerhalb eines komplexen Ökosystems an weiterer Infrastruktur und Services gedeihen. Dabei werden starke Netzwerkeffekte zwischen diesen entstehen. Ein Trend der schon heute auf der Ethereum Blockchain zu beobachten ist. Hierzu ist der Artikel „Network effects in an open financial world“ von Ivan Martinez zu empfehlen.


Die Netzwerkeffekte beruhen insbesondere auf den drei Kerneigenschaften von DeFi:

  • Interoperabel: das gegenwärtige Finanzsystem besteht aus ummauerten Gärten mit limitierter Übertragbarkeit oder mehrseitigen Zugriff. Wenn Interoperabilität möglich ist, dann nur unter der Kontrolle von Intermediären und Gatekeepern, die Renten extrahieren. DeFi ist definiert durch Plattformen, die mit einem hohen Grad an Transparenz zusammenarbeiten können und dessen einzelne Funktionen komplementär zueinander sind.

  • Programmierbar: Bitcoin hat Geld revolutioniert. Ethereum hat neue Typen an Finanzinstrumenten und digitalen Vermögenswerten ermöglicht, die flexibler als existierende Produkte und Services sind. Die Tokenisierung und Automatisierung durch Smart Contract basierte Finanzkontrakte wird eine neue Ära an Finanzmechanismen und -Wachstum ermöglichen

  • Zusammensetzbar: wie bei Legos, ist die Zusammensetzbarkeit verschiedener standardisierter Elemente allein durch unsere Vorstellungskraft limitiert. Zusammensetzbarkeit bezieht sich auf das Konzept, dass etwas ausgewählt und in verschiedenen Kombinationen zusammengesetzt werden kann. Ethereum selbst hat bereits den Wert der Zusammensetzbarkeit illustriert. Eine Vielzahl von Protokollen, wie MakerDao, UMA, 0X Protokoll, Augur oder Compound Finance sind auf Ethereum implementiert. Diese wiederum nutzen gegenseitig komplementäre Funktionen oder werden durch 3rd Party Entwickler in einer Nutzer-zentrierten Weboberfläche in eine Applikation mit besserer User Experience gebündelt.

Grundsätzlich benötigt jedes Finanzsystem zahlreiche Eigenschaften, um sich zu einem leistungsstarken Wirtschaftsmotor zu entwickeln. Es bestehen einige generell akzeptierte Eigenschaften, die ein ökonomisches System beinhaltet. Demnach umschließt ein funktionsfähiges Finanzsystem globale, effiziente Märkte, die

  • Kreditnehmer und -geber befähigen Kapital zu transferieren

  • Handel und Tausch von Finanzprodukten (z.B. Derivate) mit erforderlicher Liquidität erlauben

  • Individuen/ Investoren ermöglichen Kapital zu bewegen, sichern, formieren und allokieren

  • Kapazitäten bereitstellen, um Risiken zu managen und mittigeren

  • Regulatorische Sicherheit für Investoren und Individuen bieten

Ein Finanzsystem, dass eine adäquate Menge an Marktliquidität für Kreditnehmer bereitstellt, braucht Kreditgeber und andersherum. Dieses Hähne-Ei-Problem wird initial durch Marktspekulation gelöst. Kryptowährungen und -Assets sind eine neue, spekulative Vermögensklasse, die noch nicht etabliert ist. Aus dieser Nachfrage heraus haben sich einige interessante Protokolle entwickelt, wie MakerDao, Dharma und Compound Finance. Im Bereich der Handels- und Tauschbörsen haben sich neben zentralisierten Plattformen, wie Coinbase, Bitfinex und Binance, dezentrale Protokolle, wie 0X, Kyber Network und Uniswap etabliert. In „Decentralized liquidity – maturing the backbone to decentralized finance“ wird tiefer auf die Bereitstellung von Liquidität als einer der Kernmechanismen eingegangen. Für Derivate gibt es weitere Protokolle, wie UMA und Synthetix, die einen zunehmenden Product Market Fit aufweisen. Die Webseite DeFi Pulse gibt einen Überblick über dieses wachsende Ökosystem. Zudem gibt es eine Vielzahl an Wallets, Tools und weiteren Integrationen, die auf diesen Protokollen aufsetzen. Darüber hinaus wird Staking zu einer immer bedeutenderen Form der Kapitalallokation.


Risiko Management und regulatorische Sicherheit sind noch nicht so weit, wie die zu vorigen Kategorien. Generell werden durch die Nutzung von Blockchain-Technologie einige Risiken des bestehenden Finanzsystems, die aufgrund einer intransparenten Daten- und Informationsbasis, Intermediären und proprietären Systemen, existierend entschärft. Allerdings gibt es noch einige technische Risiken, die mit der jungen Technologie und der Anwendung von Smart Contracts einhergehen. Auf der regulatorischen Seite gibt es immer noch viele Unklarheiten, aber mit Initiativen, wie der Blockchain-Strategie der Bundesregierung und ähnlichen auf internationalem Level, sollten Unternehmer in der Zukunft mehr regulatorische Sicherheit erfahren.

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